Was bewegt Sie? Deutschlands älteste Onlinerin

Eine jüngere und eine ältere Frau sitzen vor ienem Laptop und schauen gemeinsam auf dessen Bildschirm.

Foto: David Lee

Am Dienstag, den 31. März wollte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey in Arnsberg mit Bürgerinnen und Bürgern darüber diskutieren, was sie bewegt. Die Ministerin wollte wissen, was Menschen motiviert, sich im Alter für eine Sache zu engagieren, welche Erfolgsfaktoren es gibt und wie die Zugänge zu ehrenamtlichem Engagement sind oder ob es Hürden abzubauen gilt. Sie wollte verstehen, was die Menschen bewegt, wenn sie an den Wandel der Altersbilder in der Gesellschaft denken und wie diese neuen Altersbilder auf die älteren Menschen selbst wirken. Welche Wirkungen sie im gesellschaftlichen und öffentlichen Leben erzielen. Eine weitere Frage, die diskutiert werden sollte, befasst sich mit älteren Menschen in der digitalen Welt. Wie können Berührungsängste mit der neuen Technik abgebaut werden? Wie verhindern wir eine Spaltung in der digitalen Welt? Welche digitalen Innovationen und Konzepte existieren bereits und helfen dabei, möglichst lange Zuhause leben zu können?
Davon hätte auch Frau Hedwig Slomp aus eigener Erfahrung auf dieser Veranstaltung berichten können. Sie stand zusammen mit dem Moderator Kai Pflaume in "Zeig mir Deine Welt - Die Weisheit der 100 Jährigen"- vor der Kamera und darf für sich den Titel beanspruchen "Deutschlands älteste Onlinerin" zu sein.
Wir möchten Menschen ermutigen, sich ebenso wie Frau Slomp, im Alter mit den neuen digitalen Medien zu beschäftigen und führten ein Interview mit ihr.

Leider musste die Veranstaltung aufgrund der Coronavirus-Situation in Deutschland abgesagt werden. Noch viel trauriger aber ist die gesamte Redaktion darüber, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Frau Hedwig Slomp vergangenen Samstag im Alter von 104 Jahren in Arnsberg verstarb. Wir wünschen ihrer Familie viel Kraft in diesen schweren Zeiten. Frau Slomp hätte es gerne gewollt, dass wir Ihnen das Interview, welches wir kurz vor Ihrem Tode mit ihr führten, zugänglich machen.

Frau Slomp, zum Weltseniorentag am 1. Oktober 2016 nahmen Sie an einem Wettbewerb teil, in dem Deutschlands älteste Onlinerin, beziehungsweise Onliner, gesucht wurde. Wie haben Sie von diesem Wettbewerb erfahren und war es Ihre Entscheidung, sich zu bewerben  oder haben Ihre Kinder Ihnen dazu geraten?

"Frau Fuchs, die Leiterin des Caritas-Seniorenhauses St. Anna, und Frau Gerwin von der Fachstelle "Zukunft Alter" in Arnsberg machten mich auf diesen Wettbewerb aufmerksam. Frau Gerwin ist Redakteurin des vierteljährlich erscheinenden GenerationenMagazins "SICHT". Sie hatte durch ihre Arbeit für das Magazin von dem Wettbewerb der Onlineplattform LEVATO erfahren, auf der Kurse für ältere Menschen zur Bedienung von Handys, Computern und Internet angeboten werden.

Meine Kinder konnte ich gar nicht fragen, da ich mich wegen der kurzen Anmeldefrist sofort anmelden musste. Am gleichen Tag, an dem ich mich anmeldete und mein Alter angab, erhielt ich abends die Mitteilung des Veranstalters, dass ich bis jetzt die älteste Onlinerin bin. Lieber Gott, habe ich mir gesagt, lass noch jemand älter sein. Ich stehe so ungern in der ersten Reihe und halte mich lieber im Hintergrund."

Sie gewannen diesen Wettbewerb mit damals 101 Jahren. Wie war das für Sie?

"Am 1. Oktober erhielt ich den Bescheid. Der Veranstalter schrieb einen großen Bericht über mich, der ziemlich weite Kreise zog. Andere Zeitungen wurden auf mich aufmerksam und wollten ebenfalls Interviews mit mir führen. Da hatte ich einen ganz schönen Stress. Irgendwann legte sich der Rummel um meine Person.

Aber ich habe immer gesagt, ich tue das nicht für mich, sondern ich tue das fürs Haus. Mich interessieren alle Dinge, die mit diesem Hause zu tun haben. Deswegen engagiere ich mich auch hier im Heimbeirat und bin immer noch Schriftführerin."

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich mit Computer  und Mobiltelefon zu beschäftigen und seit wann machen Sie das?

"In der Schule hatte ich als Hauptfach Mathematik. Dieses logische Denken und Tüfteln hat mir immer Spaß gemacht. Ich konnte Nachmittage lang an verschiedenen Aufgaben tüfteln und versuchen, weitere Lösungswege zu entdecken.

Und dann kamen die Computer. Meine Schwiegertochter arbeitete damals mit Computern. Diese Technik wollte ich auf jeden Fall kennenlernen. 1999 habe ich meinen ersten Computer bekommen. Mit dem konnte ich allerdings nicht ins Internet. Aber ich konnte schon damit arbeiten und mich mit der Technik vertraut machen. Ein bisschen Unterstützung erhielt ich damals in einem Forum mit ca. 15 Menschen.

Ein Handy habe ich schon lange gehabt. Das musste sein. Wenn ich ab und zu zum Einkaufen in die Stadt ging und nach Hause wollte war dort nirgendwo mehr ein Telefon, um mir eine Taxe nach Hause zu bestellen. Nachdem ich die Dokumentation mit Kai Pflaume vor ungefähr einem Jahr gedreht hatte, habe ich nun auch ein Smartphone. Ins Internet gehe ich damit nicht, aber ich kann schnell kurze Nachrichten und Fotos erhalten oder versenden."                                                                                                                                  

Haben Sie manchmal Angst, eine verkehrte Taste zu drücken?

"Ja, früher habe ich wirklich Angst gehabt, eine falsche Taste zu drücken. Ich saß vor dem Smartphone und dachte, diese Taste kannst du doch mal drücken. Und dann hatte ich gedrückt. Und dann ging nichts mehr. Daraufhin musste ich erst einmal warten, bis meine Schwiegertochter es wieder richtete. Man sollte besser die Finger von einer Taste lassen, die man nicht kennt."

Frau Slomp, Sie wurden 1915 in Hagen geboren. Erst mit 96 Jahren sind sie ins Seniorenhaus gezogen. Stimmt es, dass Sie nur dort einziehen wollten, wenn Sie WLAN im Haus bekämen und einen schnellen Internetanschluss?

So ganz richtig ist das nicht. Ich zog hier ins Heim, nach dem ich auf den Rücken gefallen war und nicht mehr richtig laufen konnte. Ich war allein zuhause. Mein Mann ist schon seit 34 Jahren tot. Deswegen zog ich hier ins Heim. Da hier der Platz aber nur begrenzt war, konnte ich meinen Rechner nicht mitbringen. Ich habe dann einen Laptop bekommen und mit einem speziellen Kästchen konnte ich auch ins Internet gehen. WLAN  gab es damals noch nicht in diesem Heim. Meine Schwiegertochter hatte den Hausherren immer wieder gefragt, ob es denn hier WLAN gäbe. Vor ca. drei Jahren war es soweit und seitdem nutze ich hier im Haus das WLAN."

Wie gestalten Sie im Heim ihren Alltag? Welche Rolle spielt die digitale Technik dabei?

"Ich lese morgens nach dem Frühstück die Tageszeitung. Dann schaue ich im Laptop, ob E-Mails angekommen sind. Ich habe noch Verbindungen mit früheren Freunden. Wir schreiben uns regelmäßig. Ich bin gut über E-Mail erreichbar. Mit dem Laptop bin ich mit der Außenwelt verbunden. Ich bin ein großer Fan von Dortmund und Schalke und kann mit dem Laptop die aktuellen Nachrichten aus dem Sport und der Welt abrufen."

Empfinden Sie diese Technik eher als Fluch oder als Segen?

"Wenn ich meinen Laptop nicht hätte, würde mir etwas fehlen. Die Technik ist ein Segen für mich. Hier leben ja sehr viele ältere Menschen, aber Interesse an diesen Dingen hat keiner. Ich bin die Einzige, die diese Technik nutzt. Manche Dinge, die ich gespeichert habe, wie Gedichte oder Erzählungen, kann ich ausdrucken, um sie hier in geselliger Runde zu verwenden."

Welchen Ratschlag würden Sie anderen älteren Menschen in Bezug auf die neuen Techniken mit auf den Weg geben?

"Wenn sie ein bisschen Interesse an der Technik haben, brauchen sie jemanden, der ihnen hilft, der sie in die neue Technik einführt und auch immer wieder da ist, um ihnen Neues zu zeigen. Ich habe mir damals jeden Klick aufgeschrieben. Jetzt läuft es automatisch und ich brauche in der Regel niemanden mehr zu fragen. Hin und wieder kommt doch noch eine Situation, in der ich fragen muss. Ich rate und empfehle jedem, sich mit der neuen Technik zu beschäftigen."

Sie können auf ein langes und bewegtes Leben zurückblicken. Was ist das Geheimnis ihres langen und erfüllten Lebens? Wie meistern sie ihren Alltag, was macht Sie glücklich, was ist Ihnen wichtig und welche Wünsche wollen Sie sich noch erfüllen?

"Wünsche habe ich keine mehr, außer in Bezug auf meine Gesundheit - und wenn ich dann mal abtreten muss, wünsche ich mir, dass der Herrgott mich nicht so lange leiden lässt. Das hier ist die letzte Station für mich. Ich kann hier Freunde gewinnen und mich nett mit ihnen unterhalten. Es ist sehr schade, dass die meisten keine Lust haben, sich zu unterhalten, aber dafür habe ich ja meinen Laptop. Ich habe WhatsApp, bin Schriftführerin im Beirat und habe meine Zeitung. Langweilig wird mir nicht."

Welchen Ratschlag würden Sie unseren jüngeren Leserinnen und Lesern gerne mit auf den Weg geben?

Den jüngeren Leserinnen und Lesern würde ich gerne mit auf den Weg geben, dass nicht nur das Smartphone wichtig ist, sondern auch der Computer, aber auch der persönliche Kontakt. Durch das Computer Forum habe ich Menschen kennengelernt, die ich sonst nur von Bildern kannte. Und auf einmal standen sie vor einem. Mit einigen von ihnen habe ich heute noch Kontakt. Ich war die älteste aus der Gruppe. Wir sind auf der gleichen Wellenlänge und haben Interesse für die gleichen Dinge.

Weitere Informationen

Eine Stadt in Trauer. Auf ihrer Facebookseite veröffentlichte Frau Marita Gerwin einen Artikel in Memoriam an Frau Slomp.  Es reagieren Menschen aus vielen Ländern der Welt, die allesamt in den letzten Jahren Interviews mit Frau Slomp geführt haben oder sie persönlich getroffen haben, (aus Indien, Hongkong, Singapur, Japan).
https://m.facebook.com/story.php?story_fbid=2873848839341241&id=100001484582620

GenerationenMagazin „Sicht“
https://www.arnsberg.de/zukunft-alter/sicht/index.php


"Zeig mir Deine Welt" Die Weisheit der 100jährigen Folge 1 auf YouTube
https://www.youtube.com/watch?v=d2yoNJ1Eu4U


LEVATO
https://levato.de/


Bericht von LEVATO
https://levato.de/onlineoldie2016/