Sicherheitspotenziale im höheren Lebensalter

Portraitfoto von Prof. Dr. Thomas Goergen

Foto: Prof. Dr. Thomas Goergen

Interview mit Prof. Dr. Thomas Görgen, Diplom Psychologe, Professor für Kriminologie und Leiter des Fachgebiets Kriminologie und interdisziplinäre Kriminalprävention an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster
 

Die Deutsche Hochschule der Polizei hat von 2012 bis 2014 das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Projekt „Sicherheitspotenziale im höheren Lebensalter“ durchgeführt. Ein Modul widmete sich der Frage, wie ältere Menschen selbst für ihre Sicherheit sorgen können. Das andere Modul beschäftigte sich mit der besonderen Gefährdung Älterer durch Eigentums- und Vermögensdelikte oder unseriöse Geschäftspraktiken.
 

Herr Prof. Görgen, welche Erkenntnisse haben Sie über die Kriminalitätsfurcht von älteren Menschen gewonnen?


Wir können – auch in Übereinstimmung mit anderen Studien – sagen: es wäre voreilig, höheres Alter einfach mit größerer Furcht gleichzusetzen. Ältere Menschen verhalten sich insgesamt vorsichtiger als Jüngere, gehen weniger Risiken ein und reduzieren auf diese Weise auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie von Straftaten betroffen sind. Vorsicht ist aber etwas anderes als Furcht. In den Interviews und Diskussionen im Rahmen der Studie konnten wir sehen, dass Gefühle von Unsicherheit bei älteren Menschen oft nicht in erster Linie Kriminalität im engeren Sinne zum Gegenstand haben, sondern in der Wahrnehmung gründen, dass Mitmenschen wenig Rücksicht zeigen, laut sind, dass ihr Verhalten schwer verstehbar und vorhersehbar ist. Das gilt insbesondere für das Zusammentreffen von älteren Menschen und Gruppen von Jugendlichen in innerstädtischen Bereichen.
 

Was können ältere Menschen tun, um sich sicherer zu fühlen und es auch zu sein?


Wichtig für das Sicherheitsempfinden und für die Sicherheit ist es, sich über bestehende Gefährdungen – z. B. durch betrügerische Straftäter - zu informieren: Eine gute Sicherung der eigenen Wohnung schützt vor Einbruch; entsprechende Maßnahmen – etwa einbruchhemmende Türen und Fenster – werden inzwischen auch von der öffentlichen Hand finanziell unterstützt. Ganz bedeutsam für das Sicherheitsempfinden ist aber auch eine gute soziale Einbindung; wer in einer stabilen Nachbarschaft lebt, gewinnt dadurch nicht nur an alltäglicher Lebensqualität, sondern profitiert auch von der Aufmerksamkeit und Wachsamkeit der Nachbarn. Wir wissen, dass etwa Einbruchstäter so etwas gar nicht mögen.
 

Gibt es spezifische Gefahrenbereiche, bei denen Menschen im höheren Lebensalter mehr betroffen sind als andere Altergruppen?


Grundsätzlich sind ältere Menschen – wenn wir dabei an die Altersgruppe ab 60 oder auch ab 65 Jahren denken – von Straftaten seltener betroffen als jüngere Erwachsene. Das trifft auf nahezu alle Kriminalitätsbereiche zu, so dass man sagen kann: das Alter ist insgesamt eine eher sichere Lebensphase. Wenn man genau hinschaut, gilt dieser beruhigende Befund aber nicht für alle Bereiche und auch nicht für alle älteren Menschen. Insbesondere in einem sehr hohen Alter, also etwa jenseits des 80. Lebensjahres werden Menschen zum Ziel von Betrügern und Dieben, die es genau auf diese Altersgruppe abgesehen haben, weil sie hier gewissermaßen leichtes Spiel vermuten. Pflegebedürftige Ältere sind durch ihre gesundheitlichen Einschränkungen und ihr Angewiesensein auf die Hilfe anderer Menschen in einer besonders verletzlichen Lage. Es kommt, nach allem was wir wissen, eher selten vor, dass diese Verletzlichkeit ganz gezielt von denjenigen ausgenutzt wird, die Pflegeaufgaben übernommen haben. In der Pflege kann es aber auch ohne einen solchen gezielten Missbrauch von Macht und Abhängigkeit zu körperlicher Gewalt, zu psychischer Misshandlung, zu Vernachlässigung kommen. Pflege ist eine anspruchsvolle, oftmals belastende Aufgabe, die Menschen bisweilen an ihre Grenzen und darüber hinaus bringt.
 

Vor allem Trickbetrüger sind sehr kreativ, um ältere und hilfebedürftige Menschen zu hintergehen. Der „Enkeltrick“ und Betrugsstraftaten aus Call-Centern haben inzwischen eine traurige Berühmtheit erlangt. Wie können Ältere sich davor schützen?


Hier ist es natürlich wichtig, über Gefahren informiert zu sein, die wesentlichen Tricks zu kennen, mit denen Straftäter arbeiten. Gerade mit Blick auf Straftaten, die über das Telefon angebahnt werden, ist es richtig, das Gespräch abzubrechen, wenn etwas merkwürdig erscheint. Da Straftäter, die es auf Ältere abgesehen haben, oft nach altmodisch klingenden Vornamen suchen, kann es sinnvoll sein, den eigenen Namen nicht im Telefonbuch erscheinen zu lassen. Darüber hinaus kommt aber auch der Umwelt eine wichtige Rolle zu. So können Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter von Banken manchmal den Erfolg eines Enkeltrickversuchs verhindern, wenn sie eine ihnen bedenklich erscheinende Situation – etwa das Abheben eines ganz ungewohnt hohen Betrags – ansprechen.
 

Welche speziellen Hilfeangebote wurden im Rahmen des Forschungsprojektes entwickelt, um älteren Menschen Schutz vor Betrügern und Trickdieben zu geben?


Wir haben insbesondere mit den gerade bereits erwähnten Banken bzw. ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kooperiert. Ihnen kann bei vielen, wenn auch längst nicht allen Vermögensdelikten eine wichtige präventive Bedeutung zukommen. Im Rahmen des Projekts wurden Beschäftigte von Banken geschult im Hinblick auf das Erkennen von Alarmsignalen für Betrugsversuche; wir haben daran gearbeitet, wie in entsprechenden Situationen im Interesse des Kundenwohls mit einem Verdacht umgegangen werden kann. Es ist wichtig, dabei nicht nur die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schulen und zu gewinnen, sondern auch das Unternehmen und die Führungsebene einzubinden.
 

Gerade für ältere Menschen in ländlichen Regionen sind Geld- und Überweisungsautomaten oft nicht gut erreichbar. Können Sie dazu raten, eine Bankvollmacht zu erteilen und worauf muss besonders geachtet werden?


Vollmachten sind grundsätzlich hilfreiche Vereinbarungen zwischen dem Vollmachtgeber und dem Bevollmächtigten. Mit dem Erteilen einer Vollmacht setzt eine Person Vertrauen in eine andere, und natürlich kann – wie immer in menschlichen Beziehungen – derartiges Vertrauen auch missbraucht werden. Neben einer sorgfältigen Auswahl der Person, der man die Vollmacht erteilt, ist nicht nur Älteren zu raten: Passen Sie eine Vollmacht an Ihren konkreten Bedarf an. Legen Sie gegebenenfalls Grenzen und Beschränkungen fest, so dass etwa über größere Vermögenswerte nicht verfügt werden kann. Überprüfen Sie den Inhalt einer Vollmacht nach einer gewissen Zeit und ändern sie diese bei Bedarf. Lassen Sie Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer registrieren. Und das Wichtigste: Lassen Sie sich keinesfalls zum Erteilen einer Vollmacht drängen.
 

Wie können Angehörige und auch andere ältere Menschen am besten unterstützen?


Durch alltägliche Nähe, Aufmerksamkeit und Wachsamkeit. Und ganz wichtig, wenn jemand Opfer eines Betrügers geworden ist: Vorwürfe vermeiden. Der einzige, der sich schämen muss – oder das jedenfalls tun sollte – ist der Täter.

Herr Prof. Görgen, vielen Dank für das Interview.
 

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