Interview mit Christine Lüders über Diskriminierung im Alltag älterer Menschen

Portrait von Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Bildnachweis: Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Seit fast 10 Jahren existiert das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das u. a. den Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Alters vorsieht. Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), macht sich für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft in Deutschland stark. Im Interview gibt Sie uns Einblicke über Diskriminierung im Alltag älterer Menschen (Altendiskriminierung) und wie dagegen vorgegangen werden kann.

 

Programm Altersbilder: Die ADS hat gemeinsam mit dem Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung die bisher größte Umfrage zum Thema „Diskriminierung in Deutschland“ durchgeführt und erste Ergebnisse im April 2016 veröffentlicht. Welche Erkenntnisse zu Diskriminierungserfahrungen älterer Menschen wurden gewonnen?
Christine Lüders: Die Umfrage ist zweigeteilt: Eine repräsentative Umfrage und eine unter Betroffenen, an der sich mehr als 18.000 Menschen beteiligt haben. Die repräsentative Umfrage ergab: Knapp ein Drittel aller Menschen haben in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung erfahren, knapp 15 Prozent aufgrund des Alters – und zwar sowohl ältere als auch jüngere Menschen. Die hohe Zahl hat uns überrascht.
In unserer Betroffenenumfrage haben etwa 2.000 Menschen ihre Erlebnisse zu Altersdiskriminierung geschildert. Wir sind noch dabei, die Ergebnisse im Einzelnen auszuwerten, aber so viel kann ich schon jetzt sagen: Knapp die Hälfte hat im Arbeitsleben Altersdiskriminierung erlebt, gefolgt von Öffentlichkeit und Freizeit, Gesundheit und Pflege sowie bei Ämtern und Behörden. 

Wie wir wissen, werden ältere Beschäftigte in der Arbeitswelt für die Deckung des Fachkräftebedarfs immer wichtiger. Über 50 und schon wird die Bewerbungsmappe gar nicht erst durchgelesen. Gibt es derlei Fälle überhaupt noch und wenn ja, wie kann Ihre Behörde die Betroffenen unterstützen?
Solche Fälle gibt es immer wieder. Das zeigen auch die Anfragen an unsere Beratungsstelle. Ältere Bewerberinnen und Bewerber werden häufig aussortiert. Das fängt schon bei diskriminierenden Stellenanzeigen an, die ausdrücklich 25-jährige bis 50-jährige Bewerberinnen und Bewerber ansprechen. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist das klar verboten. Auch dürfen Arbeitgeber Verträge nicht unter Verweis auf das Alter kündigen oder nicht verlängern. Unsere Juristinnen und Juristen bieten in solchen Fällen eine Erstberatung an. Sie informieren über die bestehende Rechtslage und zeigen Möglichkeiten auf, ob und wie Betroffene ihre Rechte durchsetzen können. Auf Wunsch fordern wir auch Stellungnahmen an – etwa von Arbeitgebern.

Mehr zahlen, weil man alt ist! Immer wieder wird in der Presse darüber berichtet, dass die KFZ-Versicherung ab 70 erhöht wird oder ältere Menschen bei Bankkrediten benachteiligt werden. Ist dies sachlich gerechtfertigt oder was können die Betroffenen tun?
Das Gesetz sieht für Versicherungen und Banken einige Ausnahmeregelungen vor. So können Versicherungen von Menschen ab 70 Jahren eine höhere Prämie verlangen – aber nur dann, wenn das auf einer klar nachweisbaren Risikokalkulation beruht. Bankkredite wiederum fallen nicht unter das Gesetz, weil sie keine so genannten Massengeschäfte sind. In beiden Fällen können Sie als Kunde trotzdem etwas tun: Beschweren Sie sich bei der Bank oder der Versicherung und drohen sie mit einem Wechsel zur Konkurrenz oder mit einer Beschwerde bei der Antidiskriminierungsstelle. Denn keine Bank verliert gerne einen solventen Kunden!

In der Öffentlichkeit wird seit Jahren über den Entzug oder die Verweigerung einer Fahrerlaubnis bei Menschen im höheren Alter diskutiert. Ist dies nicht eine Benachteiligung?
Diese Debatten gibt es immer wieder – und immer wieder geht es um Einzelfälle, die zu Pauschalurteilen aufgebauscht werden. Dabei sind ältere Autofahrer prozentual an weit weniger gefährlichen Unfällen beteiligt als jüngere. Das Recht sagt ganz klar: Pauschal allen älteren Personen ab einem bestimmten Höchstalter den Führerschein zu entziehen, wäre eine Diskriminierung. Nur wenn bei einzelnen  Menschen durch eine Fahreignungsprüfung festgestellt wird, dass sie fahruntüchtig sind, darf der Führerschein entzogen werden.

Unterscheiden sich die Diskriminierungserfahrungen bei älteren Frauen und Männern?
Eindeutig ja. Besonders Frauen werden sowohl aufgrund des Alters als auch des Geschlechts diskriminiert. Solche Mehrfachdiskriminierungen lösen Benachteiligungen oft erst aus oder verstärken sie. Frauen im hohen Alter haben oft niedrigere Renten und sind prozentual deutlich stärker von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Das liegt auch daran, dass bereits junge Frauen häufig Diskriminierungen im Arbeitsleben erfahren - von ungleicher Bezahlung bis hin zu fehlenden Aufstiegsmöglichkeiten.

Welches Fazit ziehen Sie nach 10 Jahren AGG?
Das AGG ist ein Glücksfall für Deutschland. Es hat den Schutz vor Diskriminierung in Alltag und Beruf, aber auch in Öffentlichkeit und Freizeit gestärkt und das Thema deutlich in das gesellschaftliche Bewusstsein gerückt. Ich denke, den meisten ist mittlerweile klar, dass es sich hier nicht um ein Nischenthema handelt, sondern dass der Schutz vor Diskriminierung wichtig für das gesellschaftliche Zusammenleben insgesamt ist. Debatten darüber, wie eine vielfältige und gerechte Gesellschaft aussehen muss, werden heute anders geführt als noch vor zehn Jahren.
Dennoch hat das Gesetz Schwächen. So fehlt es uns zum Beispiel an Möglichkeiten, gemeinsam mit Betroffenen den Klageweg zu gehen. In anderen Ländern Europas hat sich ein solches Klagerecht bewährt. Auch an anderen Stellen muss aus unserer Sicht geprüft werden, ob Veränderungsbedarf besteht. Wir sehen uns daher zum Jubiläum genau an, welche Regelungen des AGG auf den Prüfstand gestellt werden sollten. Dafür haben wir eine umfassende Evaluation in Auftrag gegeben, die pünktlich zum zehnten Geburtstag des Gesetzes im August vorgestellt wird.

Frau Lüders, vielen Dank für das Interview.