Verbundenheit und Einsamkeit im Alter

Carolina Braukmann, Vorstand Dachverband Lesben und Alter e. V.

Das Leben im Alter ist bunt und vielfältig, sagt man. Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an, sang einst Udo Jürgens. Doch wie sieht die Realität aus? Fühlt sich der ein oder die andere manchmal nicht auch einsam? Welchen Stellenwert hat Einsamkeit? Auf dem Fachtag des Dachverbandes Lesben und Alter e. V. wurde darüber diskutiert, welche Einsamkeitserfahrungen ältere lesbische Frauen machen und ob Einsamkeit eine größere Rolle als bei heterosexuellen Frauen spielen könnte. Wie wird sie erlebt und können Freundschaften und Netzwerke helfen? Wie können wir Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit herstellen?

Prof. Dr. Sonia Lippke von der Jacobs-Universität Bremen beleuchtete in ihrem Impulsvortrag das Thema Einsamkeit im Alter von der wissenschaftlichen Seite her. Ihr ist es wichtig, Einsamkeit zu entstigmatisieren und im Kontext zu Verbundenheit zu sehen. Sie räumte mit dem Vorurteil auf, dass ältere Menschen häufiger einsam sind. Dieses stereotype Altersbild entspricht nicht der Realität. Die von ihr vorgestellte Studie „Alone in the Crowd“ belegt, dass Jüngere sich häufiger einsam fühlen als Ältere. Einsamkeit ist oft ein subjektives Gefühl das sich von anderen Aspekten wie zum Beispiel dem Alleinsein abgrenzen lässt. Dieses kann auch positiv gesehen werden, denn manche Menschen sind gern alleine um sich zu erholen oder zu konzentrieren.

Alternde lesbische Frauen - ist Einsamkeit bei ihnen ein größeres Thema?

Auch wenn es zu Lesben speziell keine belastbaren Zahlen oder wissenschaftliche Erhebungen gibt, ist insgesamt gesehen die Einsamkeit in der LGBTQI Community mehr verbreitet als bei heterosexuellen Menschen. Das hängt damit zusammen, dass sie oft weniger Kinder haben, die sich im Alter um sie kümmern, aber auch damit, dass sie im Schnitt weniger oft in festen Partnerinnenschaften leben. Dennoch wünscht sich jede zweite lesbische Frau mehr soziale Kontakte und Unterstützung. Das Offenlegen der lesbischen Identität kann als Hürde wahrgenommen werden, um im Alter sein soziales Netzwerk auszuweiten. Gleichzeitig steuern alternde lesbische Frauen Einsamkeit aktiv entgegen, indem sie ihre sozialen Netzwerke präventiv ausbauen. Vertrauenspersonen sind meistens Freunde und Verwandte. Familie ist statistisch gesehen nicht mehr so bedeutsam. Im Falle eines Pflegebedarfs würden mehr LGBTQI –Menschen sich an Freunde und Bekannte wenden, weniger häufig an die Familie.

Lippke betonte, dass lesbisches und schwules Altern in der wissenschaftlichen Literatur noch ausbaufähig ist und dass insbesondere Altersbilder lesbischer Frauen sowohl gesamtgesellschaftlich als auch in der wissenschaftlichen Forschung mehr Aufmerksamkeit bräuchten.

Pflege und sexuelle Orientierung

Bei der Absicht in eine Pflegeeinrichtung zu ziehen, spielt die sexuelle Orientierung keine Rolle. Sie hängt mit dem Alter zusammen und damit, ob Kinder da sind. Menschen, die sich einsamer fühlen als andere oder eine höheren Pflegebedarf haben, treffen eher die Entscheidung, in ein Pflegeheim zu ziehen. Mit der Absicht in eine Pflegeeinrichtung zu ziehen, hängt oft die Angst zusammen, die sexuelle Orientierung verbergen zu müssen und negative Reaktionen des Pflegepersonals und der anderen Heimbewohnerinnen und –bewohner zu erleben.

Lebensort für queere alte Menschen – ist das überhaupt notwendig?

Barbara Bosshard, seit 2019 Präsidentin von queerAltern Schweiz berichtete, dass bislang der Übertritt in Altersheime für queere Menschen oft besonders schwierig, sei. Zum Teil träfen sie dort auf Menschen, die wenig Verständnis für sie zeigten. Weil sie Angst vor weiteren Verletzungen haben, verschwänden die meisten queeren Menschen wieder in die Anonymität. Damit sie die letzten beiden Lebensabschnitte in Würde leben können ohne sich gegen die Verletzungen, die sich aus Heteronormativen ergeben, wehren zu müssen, setze der Verein queerAltern sich dafür ein, ein Wohnprojekt für ältere Angehörige der LGBTI* Community in der Schweiz zu etablieren. Gemeinsam mit der Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich in Kooperation mit den Gesundheitszentren für das Alter wurde dieses Projekt angegangen. In der Siedlung Espenhof in Albisrieden entsteht damit ab 2025 ein einmaliges Pionierprojekt gelebter Vielfalt sowohl für Zürich als auch für die Schweiz.

„Engagement schafft Zugehörigkeit“

Damit das „Wir-Gefühl“ erhalten bleibt und die Menschen während Corona nicht vereinsamen startete der Verein Onlineveranstaltungen anstatt eines Stammtischs in Präsenz. Er gründete eine Plattform „Teamwork“. Hier kann sich jeder ein Profil anlegen und angeben, wo er/sie unterstützend mitarbeiten kann oder ob man zum Beispiel mehr Freizeit mit anderen verbringen oder öfter ins Theater gehen möchte. Auch ein Besuchsdienst wurde auf die Beine gestellt. Es gab viele Freiwillige, die sich anboten, aber nur wenige, die den Besuchsdienst in Anspruch nehmen wollten. Dennoch war es für die Mitglieder des Vereins wichtig zu sehen, dass sich der Verein engagiert und sichtbar ist. Dadurch wurden Vertrauen und Bindungen geschaffen. Dem Verein gelang es auch in Pandemie-Zeiten, Angebote wie regelmäßige Wanderungen und Erzählcafés aufrecht zu erhalten. Der Austausch mit Jüngeren und das Aufbrechen stereotyper Altersbilder sind Bosshard besonders wichtig. Ihr Credo: Sichtbarkeit als alte, als queere Menschen. „Damit auch die Jüngeren sehen: Aha, man kann 70 werden und immer noch glücklich aussehen.“

„Es gibt keine Bevölkerungsgruppe, die diverser ist als alte Menschen“

In der anschließenden Podiumsdiskussion berichtete Christoph Wild von verschiedene Formen der Einsamkeit, denen er während seiner Arbeit beim Paritätischen Wohlfahrtsverband begegnet ist. Eine Strategie, Einsamkeit entgegenzuwirken, ist die Gründung von Netzwerken für Seniorinnen und Senioren. Betty Thie ist bei den „Golden Girls“ engagiert. Sie berichtete von ihren Erfahrungen und wie schwierig es während der Pandemie war, den Kontakt zu anderen Lesben aufrecht zu erhalten und davon, wie die Frauen, die isoliert waren, wieder an die Gemeinschaft herangeführt werden können. „Manche haben nur Telefon und weder Internett noch Smartphone.“ Elke Schilling, Gründerin des Vereins „Silbernetz“ teilte mit, dass die Gründe, aus denen die Menschen anrufen unterschiedlichster Natur sind. „Es gibt keine Bevölkerungsgruppe, die diverser ist als alte Menschen. Was wir am Telefon erleben ist die unendliche Vielfalt von alten Menschen. Sie glauben gar nicht, welche unglaubliche Nähe über dieses eindimensionale Medium Telefon möglich ist. Und genau diese Nähe erreichen wir in vielen Gesprächen mit unseren älteren Anrufenden“, berichtete sie.

Petition - Info-Rufnummern auf Teletextseiten

Die Gründerin von Silbernetz wies auf ihre Petition hin. Damit fordert sie die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender auf, eine Videotextseite mit den für alte Menschen wichtigen Rufnummern einzustellen. Permanente Rufnummern von deutschlandweiten oder regionalen Hilfehotlines sind dort nicht zu finden. Rufnummern wie Telefonseelsorge, Krisendienste, Silbernetz, Pflegestützpunkte, ärztliche Notdienste, Rufnummern gegen Gewalt fehlen.  Sie berichtete, dass etwa 8 Millionen Ältere in Deutschland keinen Zugang zum Internet haben und dadurch von vielen Informationen abgeschnitten seien. „Es wäre so einfach, Ihnen den Zugang zu überlebenswichtigen Informationen zu öffnen. In fast jedem Wohnzimmer steht ein Fernseher mit dessen Nutzung die allermeisten älteren Menschen vertraut sind. Auf den Videotextseiten erfahren sie alles, was aktuell interessant ist.“

Einsamkeit als Stigma?!

In Gruppendiskussionen wurde sich anschließend darüber ausgetauscht, wie gemeinsame Orte im städtischen und ländlichen Raum geschaffen beziehungsweise genutzt werden können, welche Facetten Zugehörigkeit oder Verbundenheit ausmachen oder welchen Potenziale Wahlverwandtschaften haben. Internationale Partnerschaften und der Austausch mit Jüngeren spiele hierbei eine große Rolle. Einsamkeit, so hieß es, ist durchaus ein lesbenspezifisches Thema. Einsamkeit wird oft als Stigma oder schambehaftet betrachtet. Oft hören ältere lesbische Frauen Kommentare wie: „Du hast keine Kinder? Na dann bist du im Alter eben alleine. Selbst dran schuld.“ Allerdings wurde festgestellt, dass in dem Moment, in dem jemand über sein Alleinsein spricht, dieses dies zur Entstigmatisierung beitragen und ein Gefühl der Verbundenheit hervorrufen kann.

 

Weitere Informationen

Dachverband Lesben und Alter
https://www.lesbenundalter.de/

Silbernetz
https://www.silbernetz.org/

queerAltern, Schweiz
https://queeraltern.ch/