stAGE! – Erstes Gesamteuropäisches Seniorentheaterfestival

mehrere ältere Frauen in weißen Kelidern tanzen auf einer Bühne

Foto: Ines Rudel

Kultur verbindet. Das erste Gesamteuropäische Seniorentheaterfestival mit dem Titel „stAGE“ fand eine Woche vor den Europäischen Parlamentswahlen 2019 in Esslingen am Neckar statt. Es bot die Möglichkeit Brücken zu Bauen und Europa ein Stück näher zusammen rücken zu lassen.

Frau Olschowski, Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg, zeigte sich stolz über die reiche Kunst und Amateurszene in Baden-Württemberg und in Europa und darüber, dass dieses Festival so kurz vor der Europawahl Begegnungen ermöglicht und den Dialog zwischen den Nationen fördert. Sie äußerte die Hoffnung, dass die Erfahrung nach diesen Tagen so positiv sein wird, dass sich an ganz vielen Orten Initiativen entwickeln, die ebenfalls ein solches Festival auf die Beine stellen möchten.

Das Festival wurde vom Bund Deutscher Amateurtheater (BDAT) mit seinem Bundesarbeitskreis "Amateurtheater" in Zusammenarbeit mit der Württembergischen Landesbühne Esslingen und dem Landesverband der Amateurtheater Baden Württemberg und anderen Partnern organisiert.

39 Gruppen aus 20 Ländern hatten sich um die Festivalteilnahme beworben. Nicht alle konnten zum ersten Gesamteuropäischen Seniorentheaterfestival nach Esslingen eingeladen werden. Die Fachjury aus nationalen und internationalen Experten des Seniorentheaters entschied sich für eine Mischung aus verschiedenen Theaterformen. Die Auswahl orientierte sich mitunter daran, was für ein Land typisch ist. So konnten an vier Tagen sieben Ensembles aus sechs Ländern an verschiedenen Spielestätten in Esslingen ihr Können präsentieren. Die Gruppen kamen aus Dänemark, Deutschland, Estland, Georgien, Griechenland und der Schweiz. Von Filmadaptionen über Eigenproduktionen und griechischen Klassikern wurde eine große Bandbreite des Seniorentheaters vorgestellt.

Doch was verbinden wir mit Begriff Seniorentheater? Die meisten der hier auf der Bühne Stehenden sind zwischen 60 und 85 Jahre alt. Das ist dann aber auch schon alles. Das Bild vom Alter hat sich sehr gewandelt. Mit großer Selbstverständlichkeit sind ältere Menschen heute aktiv, haben Spaß und bringen sich in die Gesellschaft ein. Der Ausstieg aus dem Erwerbsleben wird oft nicht mehr als "Eintritt in den Ruhestand" gesehen. Nein, jetzt fängt ein neuer Lebensabschnitt an. Endlich Zeit haben, für das, wofür man während der Erwerbstätigkeit nicht ausreichend Zeit oder Muße hatte. Die hier gezeigten Stücke sprudeln über von unbändiger Lebensfreude, aber auch von Freundschaft, Liebe, Wut, Trauer und Einsamkeit.
Mit großer Intensität bringen die Darstellerinnen und Darsteller ihre Lebenserfahrung mit in ihr Bühnenspiel ein. Wer hat nicht schon einmal erlebt wie "laut" "Stille" sein kann? Die Gestik und das Mienenspiel, der Theatergruppe aus Dänemark bedürfen keiner Worte. Ein stummer Schrei nach Aufmerksamkeit, die Tücken, eine Bettdecke zu beziehen oder einen Liegestuhl in die richtige Position zu bringen, sorgen beim Publikum für Anteilnahme und Gelächter. Auch ohne Worte wird sehr schnell klar, worum es in den einzelnen Szenen des Stückes "Laute Stille" geht. Eine Darstellerin erzählte mir später: "Das Theater bietet die Möglichkeit, eigene Geschichten einzubringen. Ich war die Frau mit dem Liegestuhl. Die Probleme mit dem Liegestuhl hatte ich zuhause auch. Das wollte ich unbedingt auf die Bühne bringen."

Das Stück "Wie feuere ich meinen Mörder" arbeitet ebenfalls mit dem Thema Stille als Stilmittel. Allerdings in einer anderen Form. Hier wird die Idee einer Geräuschkulisse dazu genutzt, die Einsamkeit des Protagonisten zu verdeutlichen, da Geräusche viel lauter und intensiver wahrgenommen werden wenn man alleine ist.

Im Anschluss an die Theateraufführungen bestand die Möglichkeit mit den Schauspielerinnen und Schauspielern sowie mit den Regisseurinnen und Regisseuren ins Gespräch zu kommen und sich über die Stücke auszutauschen, unter anderem über die Herausforderung, ihre Akteure in die Stücke einzubinden, sowie den unterschiedlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten gerecht zu werden.

Alte und alternde Körper auf der Bühne werden oft als eine Form von Normabweichung gesehen, die etwas ganz besonderes darstellt. Studierende des Instituts für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig begleiteten unter der Leitung von Jun. Prof. Dr. Veronika Darian in Kooperation mit den Centre of Competence for Theatre (CCT) das Festival mit ihrem Festival Labor auf der wissenschaftlichen Ebene. Die Idee dazu entstand aus einem Seminar in dem sich Studierende mit Alter und Altern auf der Bühne und verschiedenen künstlerischen Medien auseinandersetzten. Sie beschäftigten sich zum Beispiel mit der Frage: Was ist Seniorentheater und ist diese Bezeichnung gut oder müsste nicht eher ein generationsübergreifender Begriff gewählt werden? Wie stellt man im Seniorenlaientheater Erotik und Körperlichkeit auf der Bühne dar?

Aus dem wechselseitigen Dialog zwischen den Studierenden, den Akteuren und der Bevölkerung ergab sich, dass oftmals mit Humor an dieses Thema herangegangen wird und Sexualität eher mal "auf die Schippe" genommen wird. Die Studierenden stellten in ihrem Festivallabor auch die Frage, was es bedeutet, erfolgreich zu altern und wie Werbeslogans zu einer Akzeptanz des Alters beitragen? Tragen diese eher zu einer Akzeptanz des Alters bei, weil wir versuchen das Altersbild aus einer starren Nische zu holen oder handelt es sich eher um eine Möglichkeit, das Alter besser zu vermarkten? Oder baut es sogar Druck auf, wenn man eine Richtlinie für "erfolgreiches Altern" hat?
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Alter nicht als etwas empfunden werden soll, dass mit Einschränkung verbunden ist, mit Abschiednehmen oder als etwas, das das Aufgeben von irgendwelchen Dingen bedeutet, sondern als Chance, etwas neues zu erfahren.

Ganz im Sinne des gesamteuropäischen Gedankens endete das Festival mit einem "Europäischen Speed Dating" während dem jede Theatergruppe fünf Minuten Zeit hatte, ihren Gedanken zu Europa auf die Bühne zu bringen. Auch hier zeigte sich wieder die Vielschichtigkeit der Herangehensweise und der Umsetzung des Themas. Es zeigte sich einmal mehr, dass Theater die große Chance bietet, in die Rolle eines Anderen zu schlüpfen, sowohl im Publikum als auch auf der Bühne.

Die Erwartungen vieler Teilnehmender, ihre Erfahrungen mit anderen Gruppen austauschen zu können, zu sehen, was in anderen europäischen Ländern in Sachen Seniorentheater geschieht und Impulse für die eigene Arbeit mit nach Hause nehmen zu können, wurden erfüllt. Viele neue Freundschaften wurden geschlossen und die Hoffnung auf ein zweites Gesamteuropäisches Seniorentheaterfestival wurde den Veranstaltern mit auf den Weg gegeben. Der Intendant der Württembergischen Landesbühne Esslingen Friedrich Schirmer zeigte sich zum Abschluss begeistert von der Qualität der Produktionen und der Atmosphäre. Er empfiehlt die baldige Fortsetzung des Festivals. Gerne auch in Esslingen!

Weitere Informationen:

Bund Deutscher Amateurtheater

Text: Claudius Baritz