Lebensumstände und Lebensqualität im hohen Alter (80+)

Sechs Frauen, darunter die Bundesfamilienministerin, und zwei Männer stehen nebeneinander auf einer Bühne und schauen ins Publikum

Eine Studie über hohes Alter in Deutschland war lange überfällig. Nun ist sie da: Die Studie „Hohes Alter in Deutschland“ (D80+) ist eine bundesweit repräsentative Querschnittsbefragung der hochaltrigen Menschen in Privathaushalten und in Heimen. Diese weltweit erste Studie, die sich in dieser Größe und Breite auf die spezifische Bevölkerungsgruppe der Hochaltigen 80+ fokussiert, erfasst die Lebenssituation und Lebensqualität der Altersgruppe der Menschen über 80 bundesweit. Gefördert mit Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend führte sie das cologne center for ethics, rights, economics, and sosial sciences of health (ceres) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) durch. Am 17. Oktober wurden die zentralen Ergebnisse präsentiert und es wurde diskutiert, was diese Ergebnisse für die Gesellschaft und die Politik bedeuten.

Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren und Jugend bedankte sich auf der Abschlusstagung bei allen, die an dieser Studie mitgewirkt haben, und betonte: „Mit der Studie 'Hohes Alter in Deutschland' (D80+) gibt es erstmalig eine große, bundesweite Studie zu hochaltrigen Menschen. Die Ergebnisse bestätigen, dass über 80-jährige Menschen selbst bestimmen wollen, wie sie leben wollen. Sie wollen wie bisher Teil der Gemeinschaft sein und bleiben. Und sie wollen die Gemeinschaft in ihrem Lebensumfeld mitgestalten und ihre Erfahrungen mit anderen teilen.“

Warum eine Studie speziell zu den Ältesten in Deutschland?

Hochaltrige Menschen stellen den Teil der Bevölkerung dar, der aktuell am schnellsten wächst. Sie sind in vielen existierenden Studien unvollständig repräsentiert. Warum ist das so? Es ist oft nicht einfach, sie zu befragen. Einerseits, sind sie weniger häufig online und können damit nicht so einfach befragt werden. Andererseits können gesundheitliche Beeinträchtigungen oder eine pflegerische Versorgung im Heim eine Befragung erschweren.  Dennoch müssen die mit längerer Lebenserwartung gewonnenen späten Jahre auch gesellschaftlich und politisch mitgestaltet werden. Denn, nicht nur die Zahlt der älteren Menschen wird sich verändern, sondern auch die Zusammensetzung, hin zu mehr hochaltrigen Menschen und zu Personen mit unterschiedlichen Migrationshintergründen.

Fakten

Mehr als jeder Vierte, der insgesamt 40.000, zufällig ausgewählten Personen, hat sich an der Studie beteiligt. Mit über 10.578 Teilnehmenden ist D80+ eine der weltweit größten Zufallsstichproben aus der Allgemeinbevölkerung in diesem Alterssegment.

Über 3.000 Personen konnten neben schriftlichen Fragen auch in persönlichen Gesprächen zusätzliche Fragen gestellt werden.

Seit November 2021 wurden Studienergebnisse in insgesamt 10 Kurzberichten veröffentlicht. Damit liegen belastbare Befunde zum Leben im hohen Alter vor.

Zentrale Befunde

GESUNDHEIT und ZUFRIEDENHEIT

  1. Trotz Coronapandemie und gesundheitlichen Beeinträchtigungen scheinen die über 80jährigen in einer Art und Weise auf ihre Lebenssituationen zu blicken, die ein hohes Maß an Zufriedenheit und auch ein hohes Maß an einer positiven Lebenserwartung ermöglicht.
  2. Der weitaus überwiegende Anteil der über 80jährigen berichtet ein hohes Ausmaß an erlebter Autonomie in ihrer Lebensgestaltung und eine hohe Lebenszufriedenheit.  Sie wollen selbstbestimmt leben, sich in die Gemeinschaft einbringen und Vorbild sein. 

Ein nicht geringer Anteil von Menschen kann sogar der schwierigen Lage in der Coronapandemie Positives abgewinnen, beispielsweise durch erfahrene oder gegebene Hilfe und ein gesteigertes Vertrauen in die Nachbarschaft. Die durchschnittliche Zufriedenheit sinkt jedoch über Altersgruppen hinweg deutlich ab. Als besonders unzufrieden beschreiben sich ältere Menschen in Heimen.

Auf der anderen Seite gibt es auch Hinweise darauf, dass Strategien zur Alltagsbewältigung in manchen Teilgruppen in manchen Lebenssituationen an ihre Grenzen stoßen. So berichten Menschen mit beginnenden kognitiven Einschränkungen von weniger Wohlbefinden. Die Corona bedingten Kontaktbeschränkungen und die damit reduzierten sozialen Kontakte waren für sehr alte Menschen eine sehr hohe Belastung und das insbesondre für Menschen mit Pflegebedarf in Heimen.

ALTERSARMUT und DIGITALISIERUNG

  1. Die Lebenssituation sehr alter Menschen in Deutschland ist in vielfacher Hinsicht bestimmt von starken geschlechtsspezifischen Ungleichheiten. Frauen, die heute ein sehr hohes Alter erreicht haben, haben seltener höhere Bildungsabschlüsse erreichen können, haben andere Erwerbsbiografien und verfügen unter anderem auch durch das frühere Versterben ihrer Lebenspartner im hohen Alter über weniger soziale Ressourcen.

    Mehr als 22 Prozent der sehr alten Menschen in Privathaushalten sind von Einkommensarmut betroffen. Damit verfügen die Betroffenen über ein maximales Einkommen von 1167 Euro im Monat. In der Gesamtbevölkerung liegt diese Quote bei 14,8 Prozent. Bei den hochbetagten Frauen liegt der Anteil sogar noch um mehr als neun Prozentpunkte höher als bei den Männern.
  2.  Für die digitalen Teilhabemöglichkeiten ist festzustellen, dass die Gesamtgruppe der über 80jährigen zu der digital abgehängten Bevölkerungsgruppe gehört. Im Gegensatz zu 88 Prozent der Gesamtbevölkerung nutzten 2020 nur 37 Prozent der Hochaltrigen das Internet. Insbesondre Menschen in Heimen und ältere Frauen sind überwiegend offline.

SICHERHEIT und EINSAMKEIT

  1. In den Befunden wird deutlich, wie wichtig älteren Menschen Vertrauen und Sicherheit ist. Diese Werte werden bei Nachbarn, Familie, Freundschaften tatsächlich gelebt und sind für einen erheblichen Teil der sehr alten Menschen in der Pandemie noch gestiegen.
    Hinsichtlich der Sicherheit in Wohnungen von sehr alten Menschen gibt es Bedarf zur Verbesserung bei der Barrierefreiheit. Im direkten Wohnumfeld gilt, dass ältere Menschen großes Vertrauen in ihre Nachbarschaft haben und erleben.
  2. Sehr alte Frauen haben ein höheres Risiko im Alter einsam zu sein, was im Wesentlichen mit der Partnerlosigkeit bzw. Verwitwung zusammenhängt. Jedoch ist die Mehrzahl der sehr alten Menschen in Deutschland sozial gut eingebunden.

Mit Blick auf die gesellschaftliche Stellung sehr alter Menschen in Deutschland insgesamt, scheint das schwieriger zu sein: Hier zeigen die Befunde eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen den eigenen Werten und denen der heutigen Gesellschaft. Sehr viele alte Menschen fühlen sich nur wenig gesellschaftlich anerkannt und für ihre Lebensleistung wertgeschätzt. Weniger als jede dritte hochaltrige Person fühlt sich von der heutigen Gesellschaft gebraucht. Sie können sich in einer modernen, schnell wandelnden Gesellschaft nicht mehr orientieren.  Wie auch, wenn sie hören, du bist alt, du musst das nicht mehr machen, du brauchst das nicht?

Fazit

Die Ergebnisse der Studie wurden vom Publikum positiv aufgenommen. Positive Altersbilder werden weiter ein wichtiges Thema bleiben. Daher auch der Appell an Medienschaffende: Holen Sie Hochaltrige stärker in die Öffentlichkeit und lassen sie sie am öffentlichen Leben teilhaben. Es sollten auch mehr Begegnungsorte zwischen älteren Menschen und Kindern geschaffen werden. Anstatt ein Bild von „forever young“ zu vermitteln, können solche Orte vermitteln, das Altern ein natürlicher Prozess ist.

Selbst wenn Ältere auch die Erfahrung machen oder das Gefühl haben, dass das was sie einbringen können, nicht mehr genutzt wird, ist dem Alter Positives abzugewinnen:

Älterwerden bedeutet auch freier werden. Die Einschränkungen, die mit einer Erwerbstätigkeit verbunden sind, fallen weg, Ältere können freier agieren und sich in einer ganz anderen Art und Weise in die Gesellschaft einbringen. Die Gesellschaft kann von diesem Potenzial enorm profitieren, denn die Erfahrungen älterer Menschen sind auch in einer Zeit schnellen Wandels unverzichtbar. Schließlich wurde die Frage der Fortsetzung der Studie angesprochen. Eine Längsschnittstudie wäre wünschenswert.

Fotos: Claudius Baritz / BAFzA