„Heute bekommen wir gezeigt, was Alter bewirken kann und wie wichtig Unternehmergeist ist.“ – Drei Vorbilder für ein neues Altersbild erhalten den Zugabe-Preis 2022

Eine Frau mit einem Mann recht und einem links von ihr stehen auf einer Bühne und halten ihre Urkunden in die Kamera

Häufig werden Erfahrungen der Älteren nicht berücksichtigt, obwohl gerade sie aus ihrer Erfahrung heraus viele Dinge entwickeln und Hilfestellung geben können. Die Preisverleihung des Zugabe-Preises der Körber-Stiftung zeigte, was Alter bewirken kann und wie wichtig Unternehmergeist ist. Die Preisträgerinnen und Preisträger des mit jeweils 60.000 Euro dotierten Preises zeigen, dass Unternehmensgründungen auch mit über sechzig Lebensjahren möglich sind. Sie profitieren von der Lebenserfahrung der Älteren, von ihren Netzwerken, ihren Verbindungen und ihrem Wissen.

„Heute bekommen wir gezeigt, was Alter bewirken kann und wie wichtig Unternehmergeist ist.“

Mit diesen Worten eröffnete Dr. Lothar Dittmer, Vorsitzender des Vorstands der Körber-Stiftung in Hamburg die feierliche Preisverleihung, welche auch als Livestream im Internet zu sehen war. „Gründen kann ich, wenn ich alt bin. Dafür stehen unsere Preisträgerinnen und Preisträger. Sie trauen sich zu, eine Lücke im Gesundheitssystem zu schließen, Bildung zum Standortfaktor zu machen, oder Kommunen im Ländlichen Raum wieder ein Zentrum zu geben. Die Unternehmensgründungen sind nicht nur punktuell, sie sind modellhaft.“

DORV Zentrum

Dorv? Ein Schreibfehler? Keineswegs! Heinz Frey aus Jülich (67 Jahre) gründete das Sozialunternehmen DORV – Dienstleistung und Ortsnahe Rundum Versorgung. „Ich weiß, dass man nur durch Anpacken Dinge verändern kann“, sagte Frey. Er ist überzeugt, dass der ländliche Raum Zukunft hat. Er gilt als Pionier für eine neue Form der ländlichen Daseinsvorsorge. „Ein kleiner Dorfladen, in dem nur ein paar Lebensmittel angeboten werden, funktioniert nicht mehr.“, sagte er während der Preisverleihung. Er berichtete von seinen Schwierigkeiten, Fördermittel zu erhalten und davon, welche Vorteile ihm dabei seine Lebenserfahrung und sein großes Netzwerk boten, das er im Laufe seines Lebens aufgebaut hat.

Mit seiner Beratungsfirma DORV UG hat er dazu beigetragen, lokale Zentren mit Rundumversorgung aufzubauen: Von der Ladentheke mit Lebensmitteln über soziale und medizinische Dienste bis hin zu Kulturangeboten. Mit dieser neuartigen multifunktionalen Nahversorgung werden die Zentren so zum Dorfmittelpunkt, schaffen Arbeitsplätze und verbessern unmittelbar die Lebensqualität vor Ort –für alle Generationen.

Kern dieser Zentren sind die fünf Säulen

  • Lebensmittel
  • Dienstleistungen
  • Soziale/medizinische Versorgung
  • Kulturangebot
  • Kommunikation

In ihrer Laudatio lobte Barbara Wackernagel-Jacobs Heinz Frey für das unternehmerische Vorantreiben eines sozialpolitisch hoch relevanten Themas. Die Jury sieht in Heinz Fry einen Pionier für die Daseinsvorsorge im ländlichen Raum, dessen Konzept bereits auf über 40 Orte übertragen wurde.

„Wenn ich das jetzt mache, muss ich es ordentlich machen, egal wie alt ich bin.“

Gisela-Elisabeth Winkler (82) erhielt den Zugabe-Preis für die Gründung ihrer Firma „sabaWäsche“. Dass sie noch im Alter zur Firmengründerin werden würde, hätte sie nie gedacht. Eine schwere Erkrankung ihres Mannes ließ die Mathematikerin im Alter von 70 Jahren zur Unternehmerin werden. Mangels geeigneter Kleidung auf dem Pflegemarkt für bewegungseingeschränkte Menschen entwickelte sie gemeinsam mit ihrer Schwester, der Schneidermeisterin Sigrid Ladig, die „sabaWäsche“. Sie sagte sich: „Was getan werden muss, muss getan werden. Das sollte man nicht abhängig vom Alter machen. Das wäre absolut absurd“. Die Unterbekleidung mit Klettverschlüssen hilft Patientinnen und Patienten, sich wieder selbstständig an-und auszuziehen und somit ihre Würde zurückzugewinnen. „Learning by doing“ hieß ihre Devise. Heute vertreibt die Ladig & Winkler GmbH das 2011 patentierte Produkt sogar im europäischen Ausland und kooperiert mit Pflegediensten und Praxen für Physiotherapie.

Der Laudator Manouchehr Shamsrizi hob besonders hervor, dass das Produkt von Frau Winkler zum Erhalt der Würde der zu pflegenden Person beiträgt. Warum die Auswahl der Jury auf Gisela-Elisabeth Winkler fiel, erklärte er folgendermaßen: „Die Jury ist in hohem Maße beeindruckt davon, wie Gisela-Elisabeth Winkler als Quereinsteigerin zur erfolgreichen Unternehmensgründerin wurde, motiviert durch den sozialen Nutzen, nicht durch maximale Gewinnorientierung. Sie sieht die Preisträgerin als Vorbild für gesellschaftlichen Veränderungswillen, Kreativität und den mutigen Neuanfang im Alter.“

„Warum ist der Himmel blau?“

„Wenn man Kindern, die diese Frage stellen, sagt, das brauchst du nicht zu wissen, das weiß ich auch nicht, dann geht der Rollladen runter, aber für ewig.“, berichtete Ernst Andreas Ziegler (83), Gründer der Junior Uni. Er ist überzeugt, dass allen Kindern und Jugendlichen die bestmögliche Bildung zusteht. Sie ist der Schlüssel zu individuellen Zukunftsperspektiven und gesellschaftlicher Chancengleichheit. Im Jahr 2008 gründete er deshalb im Alter von 70 Jahren die Wuppertaler Kinder- und Jugend-Universität für das Bergische Land gGmbH – kurz Junior Uni. „Eigentlich sind wir so etwas wie ein Sportverein für Wissenserwerb“ sagte Ziegler. Zusätzlich zur Schule ist die Junior Uni eine außergewöhnliche Bildungseinrichtung für junge Menschen zwischen vier und zwanzig Jahren mit den Schwerpunkten Mathematik und Naturwissenschaften.

Sie ist fast komplett privat finanziert und bietet jungen Menschen - unabhängig von ihrem Bildungshintergrund - Kurse zum Experimentieren und Forschen und begeistert zum lebenslangen Lernen mit Freude. Seit der Gründung wurden fast 84.000 Kursplätze vergeben und Ernst-Andreas Ziegler hat dafür über 18 Millionen Euro an privaten Zuwendungen eingeworben.

„Fang nie an aufzuhören, höre nie auf anzufangen.“ Mit diesem Leitsatz von Cicero, der sicherlich für alle Preisträgerinnen und Preisträger gilt, begann Rudolf Kast seine Laudatio für Ernst Andreas Ziegler. Er lobte die Leuchtturmfunktion dieses privatfinanzierten Projektes im Bildungsbereich und bekundete den größten Respekt der Jury vor dieser unternehmerischen Initiative und der unbeirrbaren Leidenschaft des Preisträgers, der als Einzelner eine unabhängige Innovation im Bildungssystem geschaffen hat.

Fotos: Claudius Baritz/BAFzA