Gestorben wird morgen

"Wie geht es Ihnen heute? Ganz gut, Gott sei Dank keine Veränderung zu gestern." "Und wie war es gestern?" "Gut, ich bin am Leben, kann machen was mir gefällt, kann essen was ich will, ich mache was ich möchte. Das ist wunderbar!" Mit diesen Worten von Abraham (101 Jahre alt)  beginnt der Film "Gestorben wird morgen", über den wir im Anschluss mit der Regisseurin Susan Gluth diskutierten.

Der Film heißt im Original "Very senior – attitude is everything" – Haltung ist alles. Das ist auch das Leitmotiv dieses Films, das die ehemalige Revuetänzerin Kelly ihrer Tanzruppe beibringen möchte. Eine Herausforderung bei ihrer Arbeit mit Älteren ist, ihre Gemütslage zu erfassen und das beste aus den Seniorinnen herauszuholen. Der Film beschäftigt sich insgesamt mit der Einstellung zum Leben. Doch von der Idee bis zur Fertigstellung des Films war es ein langer Weg. Als Susan Gluth vor 15 Jahren das erste Exposee für diesen Film vorgestellt hatte, wurde ihr ganz klar gesagt, dass dieses Thema niemanden interessiert und niemand es sehen möchte. Zum Glück hat sich die Meinung mittlerweile geändert. Ansonsten hätten wir auf dieses Kleinod der Dokumentarfilmszene verzichten müssen.

Der Film handelt von Verlust und Gebrechen des Alters, aber vor allem davon, dass man im Alter durchaus glücklich sein kann. In dem Film geht es nicht ums Sterben, sondern um das Leben davor. "Sie sagen, wir kommen nach Sun City, um zu sterben. Und das passiert auch. Dehalb sind wir hier. Aber wir wollen Spaß dabei haben." Eine exzellente Kamerafühunng, die auch die kleinen Dinge des alltäglichen Lebens einfängt und den Spaß am Älterwerden zeigt, spiegelt ein differenziertes Bild vom Leben in Sun City wider und macht den Film zu einem kurzweiligen Vergnügen. Die Protagonistinnen und Protagonisten des Films, die sich sehr bewusst für ein Leben in Sun City entschieden haben, werden sehr liebevoll und respektvoll von der Kamera begleitet. Sie tragen mit ihrer erfrischenden Art und ihrem eigenen Humor dazu bei, dass der Spannungsbogen nicht abreißt und dass wir mehr über ihr Leben in Sun City erfahren möchten.

Sun City

Sun City ist ein Stadt in Arizona im Südwesten der USA, in der an knapp 300 Tagen im Jahr die Sonne scheint. Viele Einwohnerinnen und Einwohner kommen aus dem sogenannten "Snow Belt", den nördllicheren Regionen Amerikas, in denen es auch schon mal kälter werden kann. Wer hierher ziehen möchte, muss mindestens 55 Jahre alt sein. Das Durchschnittsalter liegt zwischen 80 und 85 Jahren. Kinder oder Enkelkinder kommen höchstens mal zu Besuch. Die Stadt gleicht einer überdimensionierten Kleingartensiedlung. "Die Straßen sind breiter, da manche alten Leute nicht mehr so gut fahren können und mehr Platz brauchen, um von einem Ort zum anderen zu kommen.", sagt der Scheriff. "Die Bürgersteige sind abgesenkt, damit man besser mit dem Rollstuhl oder dem Rollator hinauf oder herunter fahren kann und wer sein Obst vor dem Haus nicht rechtzeitig erntet oder das Unkraut vor dem Haus nicht entfernt, erhält eine Ermahnung." Sun City ist auch ein Ort mit eigenen Regeln.

Die Leute die hierher ziehen, kommen meist aus der unteren weißen Mittelschicht. Der Sherriff erklärt, dass es ein sehr günstiger Ort ist, um zu leben und alt zu werden. Dadurch dass viele Dinge ehrenamtlich geregelt werden, können Kosten gespart werden, die Steuern sind hier ebenfalls sehr niedrig.

Ein weiterer Beweggrund, hierher zu ziehen, ist die Sicherheit. Viele Menschen kommen aus größeren Städten und fürchten sich sehr davor, dass ihnen etwas passieren könnte. Es gibt daher auch viele Gemeinden in den USA, die eingezäunt sind, in die nur Menschen kommen, die dazu berechtigt sind. In Sun City ist das anders. Hier können die Menschen ihr Auto offen lassen, sie können ihr Haus offen stehen lassen und es passiert nichts.

Viele Angebote wie Tanzkurse, sportliche Aktivitäten und gemeinsames Musizieren werden von Ehrenamtlichen angeboten. Das gibt jedem Tag Struktur, da die Menschen jeden Morgen aufstehen und etwas für die Gemeinschaft tun. Einsamkeit gerade unter den Älteren darf nicht unterschätzt werden. Daher werden die vielfältigen Angebote in Sun City gerne angenommen.

Der Film bietet viele Anregungen für die Frage, wie wir in einer Zeit, in der die Menschen vielerorts immer älter werden, im Alter leben wollen und was eine solche Entwicklung für unsere Gesellschaft bedeuten könnte. Diese zentrale Frage wurde in der anschließenden Diskussion gestellt. In Anwesenheit der Regisseurin Susan Gluth, dem Schauspieler Peter Lohmeyer, der dem Film die deutsche Stimme verlieh, Dr. Oliver Zobel, Referent für Pflege und Altenhilfe beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, Dr. Brigitte Fluck, Sozialgerontologin und Swantje Kersten, Referentin im Pflege-Hospiz-Gesundheit der Caritas, diskutierten die Zuschauerinnen und Zuschauer darüber, ob sie sich vorstellen könnten, in einer Stadt wie Sun City zu leben.
 

"Wenn man es tolerant betrachtet, ist es doch in Ordnung."

Nur eine Person aus dem Publikum würde gerne in Sun City leben. "Hier fühlt man sich nicht alt – denn die anderen sind ja auch alt." Viele dagegen würden Menschen anderer Generationen vermissen. "Ein Ort mit Gleichgesinnten, eigenen Regeln und gegenseitiger Unterstützung wäre auf jeden Fall eine Alternative. Es müsste jedoch eine Durchmischung der Generationen stattfinden." Auch heute schon fände in vielen Bereichen eine Segregation statt, z.B. in Privatschulen, in Kleingärten nur mit Gleichgesinnten oder auch beim Urlaub in ausgewiesenen "Erwachsenenhotels". "Wenn man es tolerant betrachtet, ist es doch in Ordnung", brachte es schließlich jemand aus dem Publikum auf den Punkt.

Auch seniorengerechte Wohnangebote der Stadt Berlin wurden angesprochen: In vielen Stadtteilen Berlins wird bereits betreutes und genossenschaftliches Wohnen angeboten, es gibt Angebote verschiedener Wohnungsbaugesellschaften, eine größere Wohnung mit günstiger Miete gegen eine kleinere zu tauschen, ohne dass die Miete – wie heute vielfach üblich - höher wird. Solche Angebote könnten die Umzugsbereitschaft älterer Menschen erhöhen und damit durch den Tausch bessere Wohnmöglichkeiten für Familien und Ältere bieten. Thema waren zudem Wohnorte speziell für die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz, die sowohl in Holland als auch in Deutschland bereits angeboten werden.

Schließlich wünschten sich die Teilnemenden ein Altersbild, das von Respekt geprägt ist und in dem alle Generationen eingebunden sind. Eine Gesellschaft, in der "junges Alter" "altem Alter" hilft und in der ältere Menschen Verständnis für die Belange jüngerer Menschen haben. Einig waren sich die Teilnehmenden darin, dass das Bewusstsein für die Bedürfnisse älterer Menschen noch nicht in allen Köpfen angekommen ist. Gesamtgesellschaftlich müsse sich insoweit bei der Wahnehmung noch einiges ändern. Der Vorschlag, das Thema Alter verstärkt in die Lehrpläne der Schulen aufzunehmen, könnte hier vielleicht Abhilfe schaffen.