Deutscher Engagementpreis 2018: Gewinner des Publikumspreises

Zwei Frauen in deren Mitte die Familienministeriun mit der Siegerurkunde steht.

Foto: David Ausserhofer

Bei der Wahl des Publikumspreises wurden über 93.000 Stimmen abgegeben. Das zeigt, dass der Deutsche Engagementpreis inzwischen eine feste Größe in der deutschen Engagementlandschaft geworden ist. Mit 4.334 Stimmen bei der Onlineabstimmung wurde das Projekt "Moje Tieden – gegen Altersarmut von Frauen in Ostfriesland" des Zonta Club Leer in Ostfriesland auf den 1. Platz gewählt. Bundesfamilienminiserin Franziska Giffey betonte in ihrer Laudatio, dass es nicht besser passen könne: "In dem Jahr, in dem wir 100 Jahre Frauenwahlrecht feiern, geht der Publikumspreis an eine Organisation, die sich für Frauenrechte einsetzt."

Frau Janssen, Was bedeutet „Moje Tieden“ und wie sind Sie auf diesen Namen gekommen?
"Moje Tieden" ist Plattdeutsch und bedeutet "Schöne Zeiten", weil wir genau das den Frauen in Al-tersarmut bereiten wollen. Wo staatliche Mittel nicht mehr greifen, möchten wir einspringen. Da wir in Ostfriesland leben und auch für unsere Region etwas Gutes tun wollten (Zonta engagiert sich ja welt-weit), fanden wir einen plattdeutschen Namen sehr charmant, da hier noch viel Plattdeutsch - gerade bei der älteren Generation - gesprochen wird. Der Club trifft sich einmal im Monat und jede Zontian (Frau, die Mitglied im Zonta Club ist) konnte einen Namensvorschlag einreichen. Für diesen Namen ist dann mehrheitlich abgestimmt worden.


Das Projekt lebt von Ehrenamtlichen. Wie viele Ehrenamtliche engagieren sich in Ihrem Projekt und wie erfolgt die Kontaktaufnahme zu Ihnen?
Wir, der Zonta Club Leer-Ostfriesland, sind ein Serviceclub mit inzwischen 30 Mitgliedern (Frauen) aus Aurich, Emden und Leer.


Ihr Projekt existiert seit 2014. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein solches Projekt ins Leben zu rufen?
Eine von uns hat einen solchen Altersarmutsfall direkt im Bekanntenkreis erlebt und das Thema bei einem Clubabend angesprochen. Eine weitere Zontian, die Dozentin an einer Fachhochschule ist, hat eine Bachelorarbeit einer Ihrer Studentinnen zu diesem Thema vorgestellt. So begannen wir uns zu überlegen, wie wir daraus ein eigenes Projekt "stricken" können, ohne direkten Kontakt zu bedürftigen Frauen zu haben.


Wie finanzieren Sie sich?
Das Projekt finanzieren wir zum einen durch Spenden, Sponsoring und Preisgelder. Zum anderen organisieren wir jedes Jahr verschiedene Aktionen: Das eine ist unsere Charityparty, die im März stattfindet. Diese Tanzveranstaltung für Jung und Alt ist hier in Aurich mittlerweile Kult und immer sehr schnell ausverkauft. 2017 haben wir zum ersten Mal einen „Vintage- Handtaschenbasar“ ins Leben gerufen. Dazu haben wir im Vorfeld mehrere hundert gespendete Taschen gesammelt und gereinigt. Eine Zontafreundin aus Leer stellte uns ihr Geschäft zur Verfügung, wo wir die Taschen präsentieren und verkaufen konnten. Mit so einem riesigen Erfolg hatten wir nicht gerechnet. Jährlich veranstalten wir außerdem eine Krimi Lounge: Krimiautorinnen oder –autoren lesen in einer schönen Umgebung aus ihren Krimis. Im vergangenen Jahr fand sie unter dem Motto Wine & Crime in einer kleinen Weinhandlung statt. Auch diese Veranstaltung war ein voller Erfolg!


Wie erfahren Sie von dem Hilfebedürfnis der älteren Frauen?
Das Thema ist äußerst schambehaftet und wir leben in einem ländlichen Gebiet, wo noch sehr viele Damen auf keinen Fall ihre Armut nach außen hin zeigen wollen. Die Frauen selber kommen nicht zu uns und fragen um Hilfe. Es läuft alles anonym, wir kommen nicht mit den Frauen in Kontakt und wis-sen auch nicht deren Namen.

Wir kooperieren mit Kirchengemeinden, Diakonien, Hospizen und Seniorenheimen. Nun haben wir auch das Generationenhaus in Wiesmoor noch als Kooperationspartner dazu gewinnen können.

Die Institutionen unterrichten uns meistens per E-Mail und teilen uns mit, welchen Bedarf an finanziel-len Mitteln sie jeweils haben. Wir stimmen darüber ab, ob das ein Fall für uns ist und ob wir fördern können. Manchmal greifen bei einem Fall nicht alle Punkte unserer Förderleitlinien. Im Rahmen unse-rer Möglichkeiten überweisen wir diesen Institutionen Geld. Diese geben es dann bar weiter oder kau-fen die benötigten Dinge, zum Beispiel Zahnersatz, eine Brille, Kleidung und Schuhe, Reparaturen von Geräten und Fahrrädern oder auch Zuzahlungen für Medikamente oder übernehmen auch mal eine Mietzahlung.

Wir helfen aber nicht nur in akuten Notlagen, sondern auch Frauen, die sich keinen Frisörbesuch oder keine Pediküre leisten können. Wir ermöglichen den Besuch eines Konzertes, einer Kunstausstellung oder auch den Besuch bei den Kindern oder der Freundin. Es ist uns wichtig, dass wir die Frauen aus ihrer Isolation herausholen und dass sie wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Es gibt bereits zwei Kirchengemeinden im Umkreis, die wir unterstützen, die Tagesausflüge für ältere Frauen organisieren. Die Teilnehmerinnen sind immer hellauf begeistert, wenn sie von dieser Fahrt zurückkommen und einfach mal dem Alltag entfliehen konnten und auch soziale Kontakte hatten.

Es wurden zwar schon Berichte in Zeitungen über uns veröffentlicht, aber durch die Verleihung des Publikumspreises des Deutschen Engagementpreises bekommen wir noch einmal eine ganz andere Aufmerksamkeit für das Thema „Altersarmut von Frauen“. Dadurch, dass wir jetzt mehr in der Öffent-lichkeit stehen als bisher, bekommen wir auch Anfragen von aufmerksamen Mitmenschen. So wandte sich kürzlich eine Frau an uns, deren Nachbarin nach einer Operation Hilfe benötigte. Wir machten uns in diesem Fall auf die Suche nach einer passenden Institution und der zuständigen Kirchengemeinde, die dann zusammen dafür sorgten, dass die Frau die passende Hilfe erhalten konnte.

Wir freuen uns sehr, dass wir jetzt auch die Menschen ein bisschen wachrütteln können, mehr auf ihre Mitmenschen zu achten. Das war vorher nicht so. Viele haben sich nicht an uns gewandt. Entweder, weil sie sich nicht trauten oder weil sie dachten, dass die Hilfe nur durch die Institutionen erfolgen könne.

Der Preis ist für uns ein enormer Ansporn, uns weiterhin des Themas anzunehmen und hinzuschauen – unbürokratisch und aus dem Herzen heraus dort zu helfen, wo spontane Unterstützung nötig ist.

Sind manche Frauen zu stolz, um von Ihnen Hilfe anzunehmen. Ist es schwierig, hier Überzeugungsarbeit zu leisten?
Die Frauen kommen nicht einfach und fragen "Könnte ich 50,00 Euro für ein neues Paar Schuhe bekommen?". Frauen, die in Altersarmut geraten sind, sind sehr kreativ, ihre Not zu verstecken, bezie-hungsweise so bescheiden, dass sie mit ganz wenig auskommen. Die Hilfebedürftigkeit kann oft nur durch eine gute Beobachtungsgabe festgestellt werden. Die Besuchsdienste der Kirchengemeinden, des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes oder der Diakonie sind hier ganz wertvolle Kooperationspartner. Sie sind ganz nah an den Frauen dran und sehen auch, in welchen Verhältnissen sie leben.

Manchmal wissen sogar die Kinder nicht, wie schlimm es um ihre Mütter bestellt ist. Wir haben unser Projekt mit einer Pastorin gestartet und sie ein Jahr lang mit 1.000 EUR begleitet Sie berichtete z.B. von Frauen, die den Kragen von der Bluse abtrennten und umdrehten, damit man nicht sehen konnte, wie verschlissen er bereits war.

Wie alt sind die Frauen im Schnitt?
Unser Thema heißt Altersarmut. Daher haben wir in unseren Leitlinien ein Mindestalter von 60 Jahren festgelegt. Das ist für jetzige Verhältnisse noch nicht sehr alt aber es gibt hier sehr viele Frauen, die kaum gearbeitet haben, die nicht im Arbeitsprozess sind, die im ländlichen ostfriesischen Raum auf den Höfen mitgeholfen haben und die auch nicht viel in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Viele Frauen waren alleinerziehend. Da blieb am Monatsende auch kein Geld für eine private Ren-tenversicherung übrig. Andere wiederum haben sich auf den Alleinverdienst des Mannes verlassen.

Treffen Sie sich regelmäßig, um sich über die Hilfegesuche auszutauschen?
Vieles läuft über E-Mail. Wir treffen uns alle drei Monate und besprechen alles, was angefallen ist, was noch erledigt werden muss oder neue Ideen, wie wir den älteren Damen anderweitig helfen können. Durch den Preis haben wir jetzt die Möglichkeit, in anderen Größenordnungen zu denken und vielleicht unser Projekt um Hilfsangebote, wie z. B. ein Essen auf Rädern zu erweitern, so dass die hilfebedürftigen Frauen vielleicht ein bis zweimal wöchentlich ein warmes Mittagessen bekommen.

Welche Hilfen erhalten die Frauen durch Sie und haben Sie eine Geschichte, die Sie besonders berührt hat?
Ich könnte Ihnen unzählige Beispiele nennen. Wir packen jedes Jahr Weihnachtspakete für die älteren Damen. In einem hatten wir einmal einen Kerzenhalter mit einem Teelicht. Die Frau, die dieses Päckchen bekam, war so dankbar und weinte vor Freude. Für sie war es so schön, zu Weihnachten eine Kerze zu haben, die sie sich selber nicht hätte leisten können. Das sei purer Luxus für sie – ein Teelicht. Es brachte nicht nur ein Leuchten in die Augen dieser Frau, sondern auch in unsere Herzen.

In einem anderen Fall konnten wir durch Unterstützung bei Mietzahlungen ein krebskrankes Ehepaar, bei dem die Frau ihren sterbenskranken Mann pflegte, davor bewahren, aus Ihrem Heim ausziehen zu müssen.

Besonders rührend war für mich der Fall einer Mutter, deren Sohn durch einen Unfall ins Koma gefal-len war. Diese Mutter fuhr jeden Tag ins Krankenhaus, um Ihren Sohn zu besuchen. Irgendwann hieß es dann, dass der Sohn die nächsten Tage aufwachen würde. Nur konnte sie die Tankfüllung nicht mehr bezahlen, um weiter jeden Tag ins Krankenhaus fahren zu können. Eine Pastorin berichtete uns von diesem Fall. Hier haben wir die Kosten für die Tankfüllungen übernommen und die Mutter konnte tatsächlich miterleben, wie ihr Sohn aus dem Koma aufwachte. Das war so ein toller Moment.

Diese kleinen Beispiele zeigen, dass sie mit geringen Mitteln Menschen ein würdevolleres Leben er-möglichen können. Und wenn Sie so etwas erfahren und Sie Ihren Teil dazu beitragen konnten, dann macht es einfach Spaß und Freude zu helfen.

Herzlichen Dank für das Interview und für Ihre Arbeit. Ich freue mich für Sie und dass so viele Men-schen für Ihr Projekt abgestimmt haben und dadurch Ihr ehrenamtliches Engagement würdigen. Ich hoffe, dass weitere soziale Einrichtungen auf Sie zukommen und mit Ihnen zusammen arbeiten möchten und dass Sie viele weitere Unterstützerinnen und Unterstützer gewinnen.